Eigenheim: Bauen in Deutschland ist teurer als im Ausland - WELT (2024)

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Tobias Just sieht Tag für Tag, wie dauerhaft eine solide Bauweise ist. Wenn der wissenschaftliche Leiter der IREBS Immobilienakademie von seinem Schreibtisch aufschaut, blickt er auf 879 Jahre Geschichte. So alt ist das Kloster Eberbach in Eltville am Rhein, in dem das Institut der Uni Regensburg seinen Sitz hat. 1136 erbaut, trotzten seine massiven Mauern der Reformation, dem Bauern- und dem 30-jährigen Krieg und hielten auch dem Zeitenwandel nach der von Napoleon Bonaparte verordneten Säkularisierung stand.

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Für Just ist das unter Denkmalschutz stehende ehemalige Kloster nicht nur ein kulturgeschichtliches Monument. Er sieht darin auch „ein Symbol für das deutsche Verständnis von Baukultur“. So wie die Mönche Stein auf Stein gesetzt haben, um ein Epochen überdauerndes Werk zu schaffen, gingen auch die meisten Deutschen daran, ihren Traum vom Eigenheim zu verwirklichen: Beständig, massiv, sturmfest. „Wer sich hierzulande Grundeigentum schafft, baut am liebsten für die Ewigkeit“, sagt der Ökonom.

Feste Mauern aus Porenbeton, dreifach isolierte Fenster mit solidem Rahmen, darauf ein Dach aus gebrannten Tonziegeln und innen drin alle Strom-, Heizungs- und Wasserleitungen penibel unter Putz verlegt – nach diesem Standard, gegossen in diverse Industrienormen und Bauvorschriften, werden in Deutschland Einfamilienhäuser errichtet. Die robuste Konstruktion hat allerdings eine Kehrseite: „Sie macht das Bauen sehr teuer“, sagt Just. „Nirgendwo in der Welt sind die Erstellungskosten für neue Eigenheime so hoch wie hierzulande“, sagt auch Thomas Beyerle, Chefresearcher der Immobilienberatungsgesellschaft Catella.

In den USA nur halb so teuer

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Unter 200.000 Euro lasse sich ein neues Standard-Einfamilienhaus mit 110 bis 120 Quadratmetern Wohnfläche in Deutschland kaum errichten. „Inklusive Grundstückskosten müssen Bauherren Beträge zwischen 230.000 und 650.000 Euro stemmen – je nachdem, ob sie irgendwo auf dem Lande oder in einer teuren Großstadt bauen“, sagt Beyerle.

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Dass es weit billiger geht, zeigt ein Blick in andere Länder. In weiten Teilen Frankreichs sowie in Südeuropa wird zwar auch gemauert, die Leitungen jedoch werden preiswert über Putz verlegt. In Skandinavien, den USA und Kanada ist Holz das Baumaterial der Wahl, Pressspanplatten bilden die Grundsubstanz der Wände.

Das dämpft die Preise erheblich: In den Vereinigten Staaten betragen die Baukosten für ein Standard-Eigenheim mit vier Zimmern, drei Bädern und 150 Quadratmetern Wohnfläche umgerechnet knapp 110.000 Euro – inklusive der dort üblichen Doppelgarage. Damit sind Einfamilienhäuser knapp halb so teuer wie in Deutschland. Im Westen der Vereinigten Staaten, wo Bauland üppig und daher preiswert ist, gibt es 1000 Quadratmeter große Grundstücke bereits für 40.000 Euro, sodass ein neues Heim für 150.000 Euro zu haben ist.

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Auch in den Niederlanden sind 120 Quadratmeter große Einfamilienhäuser mit Baukosten von rund 150.000 Euro deutlich billiger als in Deutschland. Der Grund: Wegen des hohen Grundwasserspiegels im Land hinter den Deichen verzichten Niederländer auf einen Keller und stapeln Reifen und Fahrräder stattdessen in einem Holzschuppen an der Rückseite der Häuser. Das spart 50.000 Euro gegenüber der deutschen Bauweise.

Niemand will mehr 60er-Jahre-Häuser haben

Zwar macht ein Keller durch den zusätzlichen Stauraum das Leben angenehmer. Ebenso hält ein solide gemauertes Haus länger als eine Konstruktion, die überwiegend aus Pressspanplatten besteht. Die Frage ist nur: Rentieren sich die hohen Zusatzkosten langfristig?

Experten bezweifeln das. „Deutsche Häuser sind zwar extrem solide“, sagt Beyerle. „Der Geschmack der Nutzer wandelt sich jedoch binnen Dekaden.“ Das bekommen jetzt jene Bauherren zu spüren, die in den 1960er- und 1970er-Jahren ihre Eigenheime errichtet haben und nun im hohen Alter versuchen, die Immobilien zu verkaufen, um in eine barrierefreie Wohnung oder in betreutes Wohnen zu wechseln.

Anders als in Deutschland sehen die Menschen in Skandinavien oder den USA ein Eigenheim nicht als Investition für das Leben an, sondern als Heimstatt für einen begrenzten Zeitraum

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„Niemand will mein Haus haben“, sagt Margarete K.* Die 81-jährige Recklinghauserin, deren Mann bereits gestorben ist, versucht seit rund eineinhalb Jahren, das 1964 errichtete, zweistöckige Einfamilienhaus loszuschlagen, um in eine altengerechte Wohnung ziehen zu können. „Der Makler hat mich inzwischen überredet, den Preis um mehr als 40 Prozent zu reduzieren, dennoch hat bislang jeder Interessent nach der Besichtigung abgewunken“, sagt die Seniorin. Ursprünglich hatte sie auf 240.000 Euro gehofft. Das hatten sie und ihr Mann in liebevoller Arbeit insgesamt in das Haus investiert. Inzwischen ist das 90 Quadratmeter große Haus für 140.000 Euro am Markt.

Potenzielle Käufer schreckt vor allem die Raumaufteilung auf: Zwar bieten das Wohnzimmer mit 32 Quadratmetern und die Küche mit 16 Quadratmetern ein großes Raumgefühl. Flur und Treppenaufgang schlucken jedoch viel von der Restfläche. Die beiden Kinderzimmer messen jeweils nur acht Quadratmeter. „Die Leute wollen heute mehr Platz für ihre Kinder“, sagt die 81-Jährige. Wände herausnehmen, die Zimmer vergrößern – das gibt die Statik nicht her. „Jede Wand hat eine tragende Funktion“, sagt die Dame.

Umbau ist nur schwer möglich

Probleme, vor denen Hunderttausende weitere Grundeigentümer in Deutschland stehen. „Eine extrem solide Bauweise bedeutet nicht, dass eine Immobilie dauerhaft den Wert des ursprünglichen Kaufpreises behält“, sagt IREBS-Experte Just. „Entscheidend für den Wert eines Eigenheims ist nicht das Geld, das der Besitzer darin investiert hat“, sagt Günter Vornholz, Professor für Immobilienökonomie an der EBZ Business School in Bochum. „Entscheidend ist, welchen Preis Interessenten zu zahlen bereit sind“ – wenn denn überhaupt Nachfrage besteht.

„Die solide deutsche Bauweise macht Immobilien nicht nur teuer, sondern auch zu einem sehr unflexiblen Gut“, sagt Vornholz. „Viele tragende Wände machen einen Umbau quasi unmöglich.“ In zahlreichen ländlichen Regionen kommen noch die schrumpfenden Einwohnerzahlen hinzu. Von dort ziehen junge Menschen in die Großstädte, wo es Arbeitsplätze und Karrierechancen gibt. „Immobilien verlieren dadurch jegliche Tresorfunktion, weil es kaum Nachfrage gibt“, sagt der Immobilienökonom.

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Dieses Schicksal drohe mittelfristig auch zahlreichen heute errichteten Eigenheimen, „weil häufig die Zwischendecken mit Stahlbeton gezogen werden“, sagt Vornholz. „Dadurch entsprechen diese Häuser nicht den Anforderungen an die digitalisierte Welt von morgen.“ Das Metall in den Zwischendecken blockiere die Signalübermittlung von drahtlosen Netzwerken wie WLAN-Systemen und Mobilfunkverbindungen. „Diese Datenübertragung wird jedoch immer wichtiger werden.“

Heizung und Rollläden könnten schon heute über Smartphones ferngesteuert werden, Filme auf Wunsch über das Internet gestreamt werden, kommende Kühlschrankgenerationen würden Nahrungsmittel selbstständig über das Internet nachordern, wenn die Bestände zur Neige gehen. „Häuser, die diese Technik nicht ermöglichen, werden in absehbarer Zeit fast unverkäuflich sein“, sagt der Ökonom.

Auf die Einstellung kommt es an

Die Holzbauweise stellt hingegen für die drahtlose Datenübertragung kein Hindernis dar. Ebenso wenig haben deren Besitzer ein Problem, wenn sie die Zimmeraufteilung verändern wollen. Holzhäuser sind viel leichter als Steinbauten. Deshalb tragen bei ihnen nur die Außenwände und einige Pfeiler im Inneren die Statik.

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Dass Amerikaner und Skandinavier auf den weit günstigeren Baustoff Holz setzen, liege aber vor allem an deren Einstellung zum Eigentum. „Anders als in Deutschland sehen die Menschen in diesen Ländern ein Eigenheim nicht als Investition für das Leben an, sondern als Heimstatt für einen begrenzten Zeitraum“, sagt IREBS-Experte Just. Sie seien deutlich mobiler, wechselten mehrmals im Leben Arbeitsplatz und Wohnort. „Deshalb ist es entscheidend für sie, dass eine Immobilie nicht zu teuer ist und durch die Standardbauweise schnell wieder veräußert werden kann.“

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Die weniger robuste Bauweise bedeutet keineswegs eine größere Gefahr, beim Verkauf höhere Verluste in Kauf nehmen zu müssen. Zum einen sind auch Holzhäuser solide genug, um mehrere Dekaden zu überstehen. „Zum anderen schlägt ein Verlust von 20 Prozent bei einem günstigeren Holzhaus bei Weitem nicht so stark zu Buche, wie bei einem viel teureren Steinhaus in Deutschland“, sagt Researcher Beyerle.

Die geringeren Einstiegskosten böten zudem noch einen weiteren Vorteil: „In Deutschland sind die Häuser so teuer, dass viele Besitzer erst zu Rentenbeginn ihre Immobilie entschuldet haben und bis dahin keine weiteren Rücklagen bilden konnten“, sagt Beyerle. „In Nordamerika und Nordeuropa hingegen können die Menschen aufgrund der weit geringeren Baukosten ihre Altersvorsorge viel breiter aufstellen.“ Das bestätigt eine Studie des Deutschen Aktieninstituts. Danach sind 13,1 Prozent der deutschen Privathaushalte in Aktien investiert, in den USA hingegen 56 Prozent und in Skandinavien rund 20 Prozent.

* Name von der Redaktion geändert

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